Die Nacht liegt hinter mir. Auf grauen Schwingen
Erhebt im Osten sich der junge Tag.
Noch ruht im Morgentraum das alte Bingen,
Und nur vom Rhein tönt leiser Ruderschlag.

Da hat ein alter Kahn mich aufgenommen
Und trägt mich freundlich in die Flut hinein,
Und leise rauscht ein heimatlich Willkommen
Dem stillen, müden Mann der alte Rhein.

Da schweb‘ ich nun in meiner kleinen Truhe
Auf weiter Fläche überm tiefen Grund:
Welch‘ heilige Stille, welch‘ erhabene Ruhe,
Welch‘ tiefer Frieden rings im weiten Rund!

Und ach, noch bebt im Ohr mir das Gedröhne,Noch steigt um mich aus Flammenglut und Rauch
Zum Himmel auf das Ächzen und Gestöhne,
Noch loht um mich der Furien heißer Hauch!

Noch seh‘ ich mich umringt von allen Schrecken
Des Feldes, das der Schlachtengott durchbraust;
Noch seh‘ ich grimm sich mir entgegenstrecken
Den jäh erstarrten Arm, die bleiche Faust.

Noch seh‘ ich sich die dunklen Gruben füllen
Mit armer Menschen blutigem Gebein,
Und rohe Kreuze ragen von den stillen,
Verlassenen Gräbern in die Nacht hinein.

Seh‘ sich um ihre leeren Hütten drücken,
Des Landes Kinder, abgehärmt und blaß,
Und in den starren, tränenmüden Blicken
Mühsam verbergen ihren stillen Haß ….

So dort! .. und hier? Ein schlummernd Kind, geborgen

Im warmen, trauten Mutterschoß, so ruht,
So träumt in diesen göttlich schönen Morgen
Die liebe Heimat in des Himmels Hut! …

Es tagt und tagt; es rötet sich die Welle,
Und fern aus zartem Gold- und Purpurflor
Steigt leis und leis des Lichtes ewige Quelle,
Die alte Sonne feierlich empor.

Erwachend glüht der Heimat hold Gelände
Und lacht mit frohem Morgenblick mich an:
Leis falten sich in meinem Schoß die Hände,
Und Tränen riefeln nieder in den Kahn …

*) Nach langer, oft gehemmter Eisenbahnfahrt um 2 Uhr Morgens in Bingerbrück angekommen, verbrachte ich den Rest der Nacht im Wartesaal des Bahnhofes und ließ mich dann im Morgengrauen von einem alten Schiffer nach Rüdesheim übersetzen.
K.
(Aus: Kaspar Kögler, „Gedichte“, Wiesbaden o.J., S. 8f.)